Interaktive Steuerung des Leuchtenfeldes in Abhängigkeit lokaler Faktoren...
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Spezifische Unbestimmtheit
Entwurfsteam: Florian Kessel, Philipp Misselwitz, Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer, Matthäus Wirth. Mitarbeiter: Giovanni Piovene, Maja Neumann. Beratung: Henning Ecker (ifb frohloff staffa kühl ecker, Berlin)
Der Wettbewerbsaufgabe liegt ein selbst geschaffenes Dilemma zu Grunde. Durch
den Abriss der bisherigen Bebauung wurde die Zwischennutzung des Palasts der
Republik beendet, ohne dass eine Klarheit darüber besteht, wann eine
Neubebauung erfolgen wird. Es entsteht eine Brache für eine Zeit von
5 oder mehr Jahren. Die Auslobung stellt sich hierfür eine temporäre
Gestaltung und Nutzung des Geländes vor, welche als Lückenbüßer
die Zwischenzeit überbrückt, ohne signifikant Vorheriges zu verwenden
oder Impulse für die langfristige Neugestaltung zu geben. Hierbei besteht
die Gefahr, dass mittels der vielerorts stattfindenden Eventisierung des Stadtraums
mit Freizeitaktivitäten die Besonderheit des Ortes ausgeblendet wird.
Wir schlagen vor, statt nach Beendigung des Abrisses die Oberlächen neu
zu designen und zu animieren, den dann bestehenden Status quo in seiner Rohheit
zu akzeptieren und ihn zum Ausgangspunkt eines Konzeptes zu machen:
1. Der Boden
Nach Abriss aller oberirdischen Gebäude zeigt die Oberfläche Spuren
der gegensätzlichen Gestaltungen des Ortes im Verlauf der Geschichte,
ist eine Kartierung eines gesellschaftlichen und historischen Spannungsfeldes.
Nichts wäre törichter, als diese Zeichen durch eine Grasnarbe zu
verdecken: die Fundamentruinen von Schloss und Palast, die Spuren des Abrisses,
die Asphaltfläche des öden Vorplatzes, usw. Wir schlagen vor, die
Widersprüchlichkeit, Rohheit und Unfertigkeit des Ortes zu akzeptieren
und die bestehende Oberfläche nicht zu verändern. Die Palastwanne
mit der Sandverfüllung wird ebenso wenig von einer Grasnarbe verdeckt
wie die Schlossfundamente. Lokale Eingriffe werden auf das Notwendigste beschränkt,
um auf der gesamten Fläche die Verkehrssicherheit herzustellen.
2. Das Lichtvolumen
125 temporäre Lichtmasten bilden einen Raum. 20 m hohe Stelen aus poliertem
Stahl stehen in einem Raster von 20 m x 20 m. Das Mastenfeld markiert den
Ort und gibt somit Orientierung und Verortung in dem durch die Abrisse der
letzten 65 Jahre fragmentierten Stadtraum. Das Lichtvolumen erzeugt eine räumliche
Gliederung und Struktur mit einem Minimum an Mitteln und physischer Präsenz
und adressiert damit ein stadträumliches Problem, das sich nach dem Abriss
des Palast der Republik in noch drängender Forma als bereits heute stellt.
Das Verschwinden des von vielen als hässlich empfundenen Gebäudes
wird aus der Richtung Unter den Linden (also aus Westen) als Befreiung gesehen
werden können: man blickt auf das rote Rathaus mit einer großen
Grünanlage davor. Ganz anders stellt sich die Situation jedoch aus östlicher
Richtung dar. Das noch intakte städtebauliche Ensemble der Zentrumsgestaltung
der DDR verliert zu einer Seite seinen räumlichen Abschluss. Nach Abriss
des Palasts der Republik blickt man nach Westen in eine diffuse und ausgefranste
Stadtlandschaft. Diese gewinnt durch das Lichtvolumen wieder Kontur.
Das Lichtfeld überspannt unterschiedslos die Überreste von Schloss
und Palast, von Neubau, Abriss und Zwischennutzung. Die punktuelle Intervention
lässt die Oberflächenstruktur des heutigen Schlossplatzes unangetastet
und beeinflusst ihre Nutzungsmöglichkeit nur geringführig. Daher
kann das Mastenfeld auch von Anfang an in voller Ausdehnung realisiert werden
und steht nicht im Widerspruch zu Ausgrabungsarbeiten, U-Bahn-Bau oder Errichtung
der Infobox. Soweit erforderlich, können Masten lokal ausgelassen oder
entfernt werden, um notwendige Arbeiten nicht zu behindern.
Die Illumination des Leuchtenfeldes ist dynamisch und interaktiv gesteuert.
Jeder Mast ist individuell schaltbar. In Abhängigkeit von lokalen Faktoren
wie etwa der Präsenz von Personen, von Temperatur, Lärm, Luftfeuchtigkeit
usw. verändert sich die Beleuchtung des Feldes. Ebenso kann das Leuchtenfeld
auch zur Visualisierung externer Faktoren und Informationen dienen.
3. Der Aktionsraum
Das Schlossareal kann frei genutzt werden. Die Gestaltung legt die Art der
Nutzung nicht fest, sondern erlaubt unterschiedliche und nicht vorhersehbare
(und vorhergesehene) Formen der Aneignung des Geländes. Dafür gelten
folgende Regeln:
- Jegliche Nutzung von privaten Personen oder gemeinnützigen Initiativen,
die nicht länger als 72 h dauert, von Personen ohne mechanische Hilfsmittel
realisiert wird und die allgemeinen rechtliche Vorschriften (etwa bzgl. Verkehrssicherheit)
einhält, ist grundsätzlich erlaubt.
- Darüber hinausgehend sind zeitlich befristete kulturelle Nutzungen
möglich. Für diese sind einem Kuratorium ein Vorschlag vorzulegen,
der über diesen binnen dreier Monate entscheidet. Das Kuratorium kann
neu geschaffen werden oder eine bestehende Struktur (etwa Rat für die
Künste) sein.
- Alle Nutzungen sind öffentlich und ohne Eintritt frei zugänglich.
Werbung und kommerzielle Nutzungen sind untersagt.
Die unterschiedliche Beschaffenheit der Oberflächen des Ortes (Sand,
Gras, Asphalt, bauliche Überrest etc.) und der räumlichen Situationen
(zur Straße, zum Wasser, flach oder geneigt usw.) wird eine Vielfalt
unterschiedlicher Nutzung zur Folge haben. Der Charakter der Nutzungen kann
von alltäglich bis hin zu außergewöhnlich reichen. Die sich
entwickelnden Nutzungen werden dokumentiert.
Kosten: Aufgrund des Verzichts auf ein Oberflächendesign benötigt
die Realisierung des Entwurf ca. ein Drittel weniger als die geplanten Kosten
von € 2,1 Mio.
Der Forschungsverbund Urban Catalyst entwickelte sich aus einem gleichnamigen europäischen Forschungsprojekt über Strategien temporärer Nutzungen auf urbanen Brachflächen (2001 – 2003) und wurde von Philipp Misselwitz, Philipp Oswalt und Klaus Overmeyer 2003 gegründet. Urban Catalyst ist Mitinitiator der kulturellen Zwischennutzung des Palastes der Republik durch Zwischenpalastnutzung/ Volkspalast, hatte im November 2002 eine erste Machbarkeitsstudie hierzu vorgelegt und zeigte mit Ausstellung und Symposion „Abriss und dann? – X Ideen für den Berliner Schlossplatz“ im Juli/ August 2005 alternative Ideen zum Umgang mit dem Ort auf. Im Februar 2006 machte Urban Catalyst einen Vorschlag für die Nutzung der Untergeschosse des Palasts der Republik nach Ende des oberirdischen Gebäudeabriss. Dieser Entwurf wird auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig im Deutschen Pavillon (ConvertibleCity) gezeigt. Das Projekt ZwischenPalastNutzung/ Volkspalast erhielt im Juni 2006 den European Prize for Public Space/ Sonderpreis der Jury.